259 Kilometer lang ist das Kanalsystem, das von der IKB betreut wird. Damit das Abwasser darin ungehindert fließen kann, sind Gernot Raffl und seine Kollegen täglich in Innsbrucks Tiefen unterwegs. Sie kontrollieren und reparieren dort auf engstem Raum. „Platzangst geht nicht“, weiß Raffl.
Der Gedanke an diesen Ort lässt bei Unkundigen die Phantasie sprießen und einen Schauer den Rücken hinabfließen. Der Kanal. Liebhaber alter Filme denken dabei an „Der dritte Mann“ und hören die Zither-Filmmusik. Anhängern ewig aktueller Gruselmythen kommen Krokodile in den Sinn, die von ihren überforderten Besitzern in den Kanal gespült wurden und sich in den Rohren räkeln. „Nein, von Krokodilen habe ich bei uns noch nie etwas gehört“, sagt Gernot Raffl. Er schmunzelt und zieht leicht die Augenbraue hoch, bevor er hinzufügt: „Bei speziellen Kanälen ist es aber wirklich wie in einem kleinen Horrorfilm. Da gibt es große, fette Spinnen und man muss sich den Weg hindurch bahnen. Es sind auch immer wieder Ratten drin. Die haben es im Kanal richtig fein, wenn die Leute verbotenerweise Lebensmittel im Klo entsorgen. Nudeln, Gemüse, Wurststückln – da kann sich man schon ein Menü zusammenstellen.“
Gernot Raffl kennt das 259 Kilometer lange Innsbrucker Kanalnetz wie seine Westentasche. Er ist Gruppenleiter Kanalbetrieb bei der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (IKB), ist seit 2001 dabei und kümmert sich zusammen mit seinen sechs Mitarbeitern darum, dass das Abwasser aus Innsbruck und aus den 14 angeschlossene Umlandgemeinden ungehindert zum Klärwerk fließen kann. Auch die 6.299 Kanal- oder Einstiegsschächte der Landeshauptstadt zählen zu ihrem „Revier“, sie mauern, reparieren Pumpen, reinigen und bei Tiefbaustellen ist Gernot zudem dafür verantwortlich, dass die strengen Vorgaben eingehalten werden.
„Ich bin gelernter Tiefbauer und der Kanal ist mein Metier. Das hat mit immer getaugt“, erzählt er. Die Faszination für seinen Job wird im Gespräch unmittelbar spürbar: „Das Lässige am Kanal, die Schwierigkeit, ist das Gefälle. Das musst du immer berechnen. Hier geht es um Millimeter.“
Wasser fließt „bergab“. So logisch dieses physikalische Gesetz auch scheinen mag, so schwer ist es, diesem Gesetz metertief unter einer großen Stadt Rechnung zu tragen.
Anders als über der Erde, sind Bauvorhaben in drei bis sechs Metern Tiefe zwar ebenso schön zu planen, doch weit weniger leicht umzusetzen. Superfeine Messinstrumente hin, supertolle technische Hilfsmittel her. „Auf jeder Baustelle hast du Probleme, die gelöst werden müssen. Du musst graben und schremmen und weißt nie, was dich erwartet“, weiß Gernot, der genau diese Herausforderung, stets clevere Lösungen finden zu müssen, schätzt: „Ja, das ist wahnsinnig interessant. Und wir sind da in der Zusammenarbeit mit den Baufirmen fast schon unsympathisch pingelig, doch möchten wir eine Qualität, die 100 Jahre hält.“
In Innsbrucks Tiefen gilt eine etwas andere Zeitrechnung, dort wird für kleine Ewigkeiten gebaut. Der teils ins Jahr 1903 zurückreichende Kanal ist unbestrittener König in der Hierarchie der Rohre unter der Stadt, wobei Innsbruck österreichweit die Nase vorne hat, wenn es um das lückenlose Erfassen der Zustände und die Sanierungen im komplex verzweigten Kanalnetz der IKB geht. Nur am Ende dieses Netzes – kurz vor der Kläranlage – sind die Kanalprofile richtig groß, meist müssen sich Gernot und seine Männer jedoch gebückt oder gar kriechend fortbewegen. „Platzangst geht nicht“, sagt Gernot, der zum Schluss noch einen Mythos als übertrieben entlarvt. „Es stinkt nicht im Kanal. Meist riecht es, wie in einem muffigen Keller und wenn Spülmittel drin sind, riecht es tatsächlich zitronenfrisch.“ Zitrusduft! Herrlich. Wer hätte das gedacht.